Was ist Erlebnispädagogik? / Modelle / Geschichte
Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Erlebnispädagogik“ von wissenschaftlicher Seite her gibt es nicht – aber einen breiten, lebendigen Diskurs darüber, was Erlebnispädagogik ist. Definitionen werden gemacht und verworfen – genauso dynamisch und prozesshaft wie Erlebnispädagogik arbeitet, ist auch die Diskussion über sie.
Michael Rehm setzt in einem Definitionsversuch sehr breit an:
„Erlebnispädagogik als „Methode“ umfaßt alle Aktivitäten, welche die Natur und/oder Abenteuer, Initiativaufgaben, Spiele als Medium benutzen, um ein weiterbildendes, verhaltensänderndes, erzieherisches, persönlichkeitsentwickelndes oder therapeutisches Ziel zu erreichen.“ 1
Vor diesem Hintergrund sieht er folgende Faktoren von entscheidender Bedeutung: die klare pädagogische Zielsetzung, die Herausforderung und die Gruppe.
Heckmair und Michl formulieren folgenden Versuch einer Definition:
„Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten“ 2
Erlebnispädagogik hat also nichts mit Abenteuerromantik zu tun, sondern bietet eine Kombination aus Bewegung, Gruppenerlebnis, Naturerleben und Selbsterleben der eigenen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit an.
Erlebnisse und gewonnene Erfahrungen können einen wichtigen und entscheidenden Beitrag leisten bei der Entwicklung von
- Kommunikationsfähigkeiten,
- Selbstbewusstsein,
- selbstbestimmtem Handeln,
- Verantwortungsbewusstsein,
- Belastungs- und Stresstoleranz,
- der Fähigkeit, Probleme zu analysieren und zu lösen und Entscheidungen zu treffen.
Modelle
In der Erlebnispädagogik gibt es drei „klassische“, in den USA entstandene Grundmodelle:3
Selbstwirksames Naturerlebnis: „The mountains speak for themselves“
Dieses Modell legt den Hauptfokus auf das Erlebnis an sich. Verbale Auswertungen oder Reflexionen finden nicht oder nur spontan statt – wie „The mountains speak for themselves“ unmissverständlich transportiert: Natur und Erlebtes wirken auch ohne bewusste Einbindung der Verstandesebene.
Die Leitungs-Rolle beschränkt sich auf logistische, sicherheitsspezifische Unterstützung.
Outward-Bound-Modell: „Outward Bound Plus“
Dem Erlebnis folgt eine strukturierte und geführte Diskussion. Gemachte Erfahrungen werden direkt im Anschluss an die Aktion oder am Abend reflektiert. Der angestrebte Transfer, also die „Mitnahme“ des Erlernten in den Alltag, soll durch Reflexion erreicht werden – wobei Reflexion sich verschieden gestalten kann: in der Großgruppe, in der Kleingruppe, für sich selbst, in Form von Gesprächen oder kreativen Methoden.
Metaphorische Erlebnispädagogik: „Metaphoric model“
Dieses Modell bedient sich des „Frontloading“: Ziele der einzelnen TeilnehmerInnen und der Gruppe werden zuvor formuliert und die stattfindenden Aktivitäten darauf abgestimmt. Das Outdoor- bzw. Naturerlebnis steht im Zentrum, vorab als Metapher für bestimmte Lernziele festgelegt. Alle wissen quasi im vorhinein, was sie aus dem bevorstehenden Erlebnis lernen sollen.
Geschichte
Einen wirklichen „Beginn“ der Erlebnispädagogik festzumachen ist schwierig bis unmöglich – verwandte Ideen und Gedanken sind jedoch bereits in Platons Philosophie über die Erziehung des Menschen zu finden, oder im Werk von John Dewey (1859-1952), dessen Maxime „Learning by doing“ lautete.4
Als WegbereiterInnen und/oder prägende Einflüsse seien noch erwähnt:
Johann Amos Comenius (1592-1670), Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), Henry David Thoreau (1817-1862), Wilhelm Dilthey (1833-1911), William James (1842-1910), Georg Kerschensteiner (1854-1932), Robert Baden Powell (1857-1941), Rudolf Steiner (1861-1925), Hermann Lietz (1868-1919), Maria Montessori (1870-1952), Jean Piaget (1896–1980), Ruth Cohn (1912-2010)
Kurt Hahn gilt gemeinhin als „Urvater“ der Erlebnispädagogik. Er kritisierte in den 1920er Jahren die Ansätze der traditionellen Schulpädagogik, die zu wenig Wert auf Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung lege – generell nahm er gesellschaftliche Verfallserscheinungen wahr und entwickelte das Konzept der Erlebnistherapie, um hier entgegenzuwirken. Die Erlebnistherapie gilt bis heute als Urmutter der Erlebnispädagogik.
Den Begriff der Erlebnispädagogik an sich prägte Jörg Ziegenspeck wesentlich.5
1 http://www.erlebnispaedagogik.de/texte.htm2 Heckmair, Bernd; Michl, Werner (2002); Erleben und Lernen: Einstieg in die Erlebnispädagogik, S.90.
3 vgl. Kreszmeier, Astrid Habiba; Hufenus, Hans-Peter, Wagnisse des Lernens. Aus der Praxis der kreativ-rituellen Prozessgestaltung, Bern/Stuttgart/Wien 2000
4 vgl. http://www.uni-augsburg.de/institute/iie/erlebnispaedagogik.html
5vgl. Daniel Wiese, Wirkungsweise erlebnispädagogischer Programme am Beispiel von Praxisfeld – Erlebnispädagogische Programme e.V., http://www.erlebnis-wiese.de/downloads/diplomarbeitdanielwiese.pdf